Montag, 2. Mai 2022

Vor der Pause „in die russische Familiensauna“

Nach der Veranstaltung signierte der langjährige ARD-Korrespondent sein faszinierendes Buch - Foto: Gerd Engel

Udo Lielischkies fand im ausverkauften Glasmuseum ein interessiertes Publikum - Foto: Gerd Engel


Vor der Pause „in die russische Familiensauna“

Der preisgekrönte ehemalige ARD-Russland-Korrespondent Udo Lielischkies war zu Gast im ausverkauften Rheinbacher Glasmuseum und plauderte bzw. las unterhaltsam und teilweise ernüchternd „aus dem Nähkästchen“ von Putins Russland.

Udo Lielischkies hatte nach rund 50 Minuten die Besucher seiner Vortragslesung schon so gut wie in die Pause geschickt, als er mit Blick auf Christel Engeland von der Buchhandlung Kayser am  Büchertisch entschuldigend sagte: „Ich habe beinah vergessen, dass das heute ja auch eine Lesung ist …“

Der 69-jährige hatte zuvor überwiegend aus dem Stegreif und gespickt mit zahlreichen Anekdoten das Abdriften der Russischen Föderation unter Putin in eine imperialistische und korrupte Diktatur geschildert. Gerade war er bei seinem Bericht über ein Gespräch mit einem befreundeten Spiegel-Korrespondenten zum Ende gekommen, in dem sie, die beiden liberalen „Nachrichtenveteranen“, sich ernsthaft über Szenarien mit Atomwaffen unterhalten hätten. „Vor kurzem noch undenkbar … - aber so kann ich sie ja nicht in die Pause schicken!“ Nun las er noch  - „damit Ihnen der Wein gleich besser schmeckt“ - die Passage vor, wie er 1999 als 47-jähriger „Neuling“ in Moskau Sprachunterricht nahm und dabei seine spätere Frau Katia kennenlernte. Beim ersten Antrittsbesuch auf der Datscha von Katias Großfamilie musste er sich nicht nur als Deutscher „und Weltkriegsgegner“ in der Sauna bewähren, sondern brachte auch noch eine Tischrede in russischer Sprache einigermaßen erfolgreich hinter sich. Auch an dieser Stelle war seine tiefe Sympathie für die „normalen Russen“ spürbar, ihre Gastfreundschaft, ihre Herzlichkeit und ihren Überlebenswillen in einem maroden Staat ohne Perspektive.

Nach der Pause blieb viel Zeit für Fragen. Die rund 135 Besucher baten den meinungsfreudigen Wahl-Brühler immer wieder um eine Einschätzung der derzeitigen Lage im Kreml und eine Bewertung der aktuellen westlichen Strategie. Dabei ließ Lielischkies kaum ein gutes Haar an Positionen, die das imperialistische Handeln mit der Verletzung von berechtigten russischen Sicherheitsinteressen verbrämten. Putin habe die angeblich so „rücksichtslose Osterweiterung der Nato“ instinktsicher als Narrativ für sich entdeckt und nach innen mit der tiefen Demütigung durch den Zerfall der Sowjetunion verknüpft. Weitere Zutaten, die Putins Herrschaftsclique an der Macht halten: nachhaltiger Aufbau des westlichen Feindbildes, Vermittlung von Stolz auf das russische Wesen mit den traditionellen Werten, an dem die Welt „genesen“ könne, massive Propaganda und Einschüchterung der Liberalen sowie eine Korruption, die die gesamte Gesellschaft zersetzt. Putin inszeniere sich gekonnt als „guter Zar“, der unmöglich alle Missstände seines Landes kennen könne und dem die zahllosen Missstände nicht anzulasten seien. Lielischkies berichtete, dass sich die Gerüchte verdichteten, Putin sei sehr krank und er wisse oder befürchte, „nicht mehr lange zu haben“. Möglicherweise habe ihm dieser Umstand und die angenommene westliche Schwäche in einer günstigen weltpolitischen Konstellation das Momentum gegeben, die Geschichtsbücher mit dem Angriff auf die Ukraine umschreiben zu wollen. Sein Fazit: „Es sieht leider nicht gut aus. Mir fehlt im Moment der Optimismus.“

Einer wurde an diesem Abend vermisst: Lielischkies’ ehemaliger Tennispartner Bernd Schumacher, der den Impuls für diesen Abend gegeben hatte, der sich aber nach einer Corona-Infektion nicht rechtzeitig wieder hatte freitesten können. Lions-Präsident Michael Firmenich, neben dem Glasmuseum und Rheinbach Liest einer der Gastgeber, überbrachte Schumachers Grüße und konnte sich am Ende mit allen Verantwortlichen über einen erfreulichen Überschuss für die Ukraine-Hilfe des Clubs freuen. Zahlreiche Besucher nutzten die Gelegenheit, sich Lielischkies’ Buch „Im Schatten des Kreml – Unterwegs in Putins Russland“ signieren zu lassen und dem begnadeten politischen Geschichtenerzähler noch eine weitere Frage zu stellen.