H-BRS aktuell zur KI 022024 mit Daryoush Vaziri Foto H-BRS Daniela Greulich |
H-BRS aktuell zu KI: „Fokus Mensch immer mitberücksichtigen“
Während Microsoft seiner Tastatur eine eigene Taste für die Künstliche Intelligenz hinzufügt, ist die Digitalisierung in vielen Unternehmen und Behörden hierzulande noch lange nicht so weit vorangeschritten. „Unternehmen können es sich inzwischen aber nicht mehr leisten, sich nicht mit KI zu beschäftigen“, sagt Dr. Daryoush Daniel Vaziri. Der Wirtschaftsinformatiker leitet an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) die Forschungsgruppe Menschzentrierte Entwicklung KI-basierter Systeme und Geschäftsmodelle. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist neben der Gestaltung und Entwicklung KI-basierter Systeme auch deren strategische und operative Nutzung im Unternehmen sowie die Integration in Geschäftsprozesse. Im Interview spricht er über Künstliche Intelligenz, deren Vor- und Nachteile sowie digitale Souveränität.
Herr Vaziri, vier von fünf Unternehmen in Deutschland setzen immer noch auf Faxgeräte, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Was sagt das über den Stand der Digitalisierung hierzulande aus?
Daryoush Vaziri: Diese Statistik zeigt, dass wir in Deutschland Veränderungen nicht wirklich mögen, und wie träge die Prozesse sind. Der Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft war in den 1980er Jahren. Anfangs haben viele deutsche Unternehmen wichtige neue Technologien entwickelt. Heute gibt es außer SAP eigentlich nur noch US-amerikanische oder vermehrt chinesische Unternehmen, die in dem Bereich relevant sind. Wir sind immer noch Weltmarktführer in der Automobilbranche, stark im Maschinenbau. Aber den Wechsel zur Informationsgesellschaft haben die deutschen Konzerne irgendwie nicht hinbekommen.
Was sind denn Potenziale und Herausforderungen für die Unternehmen bei der digitalen Transformation und der Diskussion um Künstliche Intelligenz?
Vaziri: Generative KI richtig einzusetzen, also in Prozesse zu integrieren und damit den gesamten Geschäftsprozess durchgängig zu unterstützen, kann Studien zufolge Produktivität und Effizienz um bis zu 40 Prozent steigern. Das ist ein Riesenpotenzial, denn alle Unternehmen stehen immer in einem Technologie- und Preiswettbewerb, national und international. Wer sich diese Technologie nicht zunutze macht, wird diesen Wettbewerb wahrscheinlich verlieren. Aber viele Unternehmen, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, sind überhaupt nicht bereit, KI zu nutzen. Wer seinen gesamten Geschäftsprozess noch nicht digitalisiert hat, sondern noch auf Papier und Exceltabellen setzt, kann von produktiver KI nur träumen. Diese KI-Readiness herzustellen, ist also die große Herausforderung für deutsche Unternehmen und Behörden.
Wie ist der aktuelle Stand?
Vaziri: Die großen Unternehmen haben in der Regel fast alles digitalisiert. In den kleinen und mittleren Unternehmen gibt es neben den digitalisierten Prozessen allerdings immer noch Hybridprozesse mit analogen Elementen und vielen Medienbrüchen. Ein Beispiel aus der Pflegebranche: Da machen sich Pflegerinnen und Pfleger oft händisch Notizen über Patienten und übergeben sie beim Schichtwechsel an ihre Kollegen. Doch die können vielleicht die Handschrift nicht lesen, ihnen fehlen wichtige Informationen zum Verständnis oder der Zettel geht verloren. KI braucht digitalisierte Daten.
Kommen die Unternehmen an KI noch vorbei?
Vaziri: Unternehmen können es sich inzwischen nicht mehr leisten, sich nicht mit KI zu beschäftigen. Wir kommen jetzt sehr schnell an den Punkt, wo immer mehr Unternehmen auf internationaler Ebene KI einsetzen werden und dadurch Effizienzvorteile gewinnen. Anwendungen wie ChatGPT und Co. spielen dabei aufgrund der fehlenden Prozessintegration und Sensibilität der Daten nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um spezifizierte KI-Systeme, die den Geschäftsprozess unterstützen und abgestimmt auf die Bedürfnisse von Mitarbeitern und Kunden funktionieren. Diese können enorme Effizienzvorteile und damit ganz andere Möglichkeiten, beispielsweise in der Preisgestaltung, mit sich bringen.
Was bedeutet das für die Beschäftigten? Sind da nicht viele Arbeitsplätze gefährdet?
Vaziri: Das ist so, da darf man sich keine Illusionen machen. Was wir gerade erleben, wird häufig der iPhone- oder Internet-Moment der Künstlichen Intelligenz genannt. Schon jetzt gibt es viele Berufe fast nur noch, weil Unternehmen noch zurückhaltend beim Einsatz der KI sind. Das hat vor allem damit zu tun, dass die großen Akteure aus den USA kommen und wir hier sehr viel Wert auf Datenschutz und Souveränität legen, was natürlich richtig ist. Gerade kleine und mittlere Unternehmen wollen nicht so abhängig von den digitalen Technologien aus dem Silicon Valley sein, wie sie es in der Vergangenheit waren und teilweise auch immer noch sind. Wenn es mehr nützliche und prozessorientierte Technologien aus Deutschland oder Europa gibt, dann werden wohl viele Berufe mehr und mehr obsolet.
Sie sprechen von einer dramatischen Umwälzung für die gesamte Gesellschaft.
Vaziri: Die Entwicklung ist, verglichen mit den letzten Jahrzehnten, tatsächlich dramatisch, auch wenn wir das heute vielleicht noch gar nicht wahrhaben wollen. Es werden nicht von heute auf morgen viele Berufsfelder wegfallen, aber in den nächsten fünf, zehn, 15 Jahren. Gleichzeitig kommen auch neue Berufsfelder hinzu. Irgendwer muss die KI zum Beispiel kontrollieren und überwachen. Denn die KI ist zwar unfassbar leistungsstark, kennt aber weder Werte noch Moral oder Ethik, sondern nur die Daten, mit denen sie gefüttert wurde. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie muss ich verstehen, wie diese Systeme funktionieren. Hierin besteht eine Chance für neue Berufsfelder. Das sind Kompetenzen, die wir unseren Kindern aktuell in der Schule aber noch nicht beibringen. An unserer Hochschule machen wir das jetzt immer häufiger. Die Betriebswirte und Wirtschaftsinformatiker, die wir ausbilden, haben an verschiedenen Stellen immer wieder den Kontakt zu generativer KI, also einer Künstlichen Intelligenz, die Dinge wie zum Beispiel Texte oder Bilder nicht nur versteht, sondern auch komplett neu und auf menschenähnlichem Niveau erstellen kann.
Vergangenes Jahr ist die KI mit ChatGPT ins allgemeine Bewusstsein gelangt. Welche Entwicklung erwarten Sie für dieses Jahr?
Vaziri: KI war bis vor Kurzem ein Thema in der Forschung oder im Unternehmenskontext. Jetzt wurde Weihnachten am Familientisch darüber gesprochen. Wie verrückt ist das? Die Entwicklung wird rasant weitergehen. Aktuell gibt es die großen Player wie OpenAI und Google, deren Produkte im Endverbraucherbereich genutzt werden, so wie jeder von uns auch googelt. Aber im Unternehmensbereich sind diese KI-Modelle noch nicht wirklich akzeptiert und werden es wohl auch nicht werden, solange die Daten nicht unter der eigenen Kontrolle liegen. Sprache ist zudem eine Kernkompetenz. Bei deren maschineller Verarbeitung sollte man sich nicht in Abhängigkeiten bei Funktionalität und Preis begeben. Wir müssen mehr für unsere digitale Souveränität tun. Aktuell gibt es viele Entwicklungen, die in Richtung Open Source Modelle gehen. Also offene Modelle, die jeder nutzen, weiter trainieren und an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann. Das ist im Unternehmenskontext sehr relevant, und kann es auch im privaten Kontext werden, falls ich ein kontrolliertes Modell haben möchte, das ich mitformen kann. Ich nehme an, dass wir in diesem Jahr viele neue Entwicklungen aus diesem Bereich sehen werden.
Sie leiten an der H-BRS die Forschungsgruppe Menschzentrierte Entwicklung KI-basierter Systeme und Geschäftsmodelle. Wann sind digitale Innovationen denn nutzerfreundlich?
Vaziri: Wenn wir KI-Systeme bauen, die mit den Menschen an Prozessen zusammenarbeiten und sie nicht einfach ersetzen. Also wo der Mensch für den Prozess noch wichtig ist. Es ist ein Unterschied, ob zum Beispiel eine KI meine Frage einfach in einer Sekunde beantwortet und ich überhaupt nicht mehr nachdenken muss, oder ob ich eine KI habe, die auf meine Frage vielleicht antwortet, dass sie ein paar Lösungsalternativen habe nach dem Motto „lass uns doch gemeinsam schauen, welche hier am besten passt“. Es geht doch darum: Will ich als Gesellschaft nur Technologien haben, die mir den schnellsten Lösungsweg geben und dabei das individuelle Sinnempfinden einfach ignorieren? Dann bin ich effizient und wahrscheinlich auch ziemlich produktiv. Die Frage ist, was passiert dann mit der Gesellschaft? Oder möchte ich als Gesellschaft Technologien haben, die mich unterstützen, mir vielleicht die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung geben? Uns geht es in unserer Forschungsgruppe also darum, KI-Technologien nicht einfach nur zu bauen, weil man sie bauen kann, sondern zu schauen, ob sie wirklich nützlich und dienlich sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man solche Technologien verantwortungsbewusst entwickelt und immer den Fokus Mensch mitberücksichtigt.
Sie beschäftigen sich in Ihren Forschungen mit KI im Unternehmenskontext. Nutzen Sie auch privat Künstliche Intelligenz?
Vaziri: Ich nutze sie zum Beispiel für Übersetzungen von langen Texten, die sind durch KI unfassbar einfach geworden. Und für Gute-Nacht-Geschichten ist sie auch praktisch. Ich habe eine zweijährige Tochter und die will von mir immer eine neue Gute-Nacht-Geschichte zum Einschlafen hören, doch da gehen mir irgendwann die Ideen aus. Aber nichts einfacher als das. Ich frage einfach den Kollegen ChatGPT und schon habe ich eine Idee.