Mittwoch, 14. Dezember 2022

Nach-Anthropozän

Nach-Anthropozän


Paläozän, Eozän, Oligozän, Miozän, Pliozän, Pleistozän, Holozän (12.000 Jahre vor heute bis zum Beginn des Industriezeitalters), die „-zäns“ sind die neueren Erdzeitalter nach der Kreidezeit, in der noch die Saurier regierten.

Was in der Liste fehlt ist das Anthropozän, das in einer anderen Kolumne schon vorkam. Akzeptiert man das Anthropozän als neues Zeitalter, ist mit früheren -zäns auch das Holozän untergegangen. So erfährt auch das Anthropozän irgendwann das Schicksal aller geologischen Zeitaltern, es verschwindet.
Alle geologischen Zeitalter, nicht erst die -zäns, waren durch Leitfossilien bestimmt.

Leitfossilien sind in aller Regel nicht mehr existierende Lebewesen, deren Reste irgendwie die Zeit z.B. in Sedimentgestein, in Mooren oder im Ewigen Eis bis zur Entdeckung durch Geologen oder Paläontologen überstanden haben. Voraussetzung für das Leitfossil ist, das seine Reste die Zeit überstanden haben und das es häufig vorkam.

Nach dem Untergang des Anthropozän hätten die dann Forschenden die Auswahl für ein Leitfossil.  „Der Masse nach sind mittlerweile 96 Prozent der Säugetiere auf der Erde entweder Menschen (36 Prozent) oder Vieh (60 Prozent), hauptsächlich Rinder und Schweine. Lediglich 4 Prozent der Säugetiere gehören heute noch zu den wild lebenden.“(1). Was die zukünftigen Forscher als Leitfossil wählen bietet sich daraus an. Was sie nähmen können wir nur spekulieren. Ausschließen können wir die wild lebenden. Vielleicht nähmen sie den Menschen, weil er anders als Rinder und Schweine auf zwei Beinen lief oder sein Schädel unverhältnismäßig groß war. Nähmen spätere Geologen von einem anderen Planeten eines anderen Sterns kommend den Menschen als Leitfossil bliebe uns der konkrete Name natürlich verborgen.

Ganz so wichtig ist das für uns auch nicht, weil wir dann nicht mehr existieren. Genau das kennzeichnet die Leitfossilien in aller Regel – sie haben nicht überlebt, sie sind ausgestorben.
Man kann darüber spekulieren, wie / wodurch das Anthropozän untergeht. Wir werden den Untergang schaffen, fragt sich nur wann. Das könnte schnell gehen, wenn der menschengemachte Klimawandel einen Kipppunkt nach dem anderen umwirft und die Erde den Hitzetod stirbt. Oder noch schneller durch ein atomares Ende. Denkbar auch durch den gewaltigen vom Menschen verursachten Artenschwund.  Oder Viren, die nach der Zerstörung der Ökosysteme der Wirte auf den Menschen übergehen und für die vielleicht nicht schnell genug Impfstoffe und Medikamente gefunden werden. Wohingegen ein Asteroidenschlag, der die Kreidezeit mit ihren Sauriern beendete eher unwahrscheinlich ist. Die menschengemachten Untergänge liegen jedenfalls auf kürzeren Zeitskalen.
Worüber wir allerdings heute schon spekulieren können ist, was wird sein auf der Erde kurz nach dem Untergang der Menschheit. Für nach einem atomaren Ende gibt es ein studierbares Freiluftprojekt. „Radioaktive Wölfe“ (2) ist ein lehrreicher Film dazu mit dem Untertitel: „Nach mehr als 30 Jahren nach dem Super-GAU sind die 3.000 Quadratkilometer rund um Tschernobyl immer noch verbotene Zone, allerdings nur für Menschen.“ 3.000 Quadratkilometer  sind nicht klein, entspricht etwa einem Quadrat mit 55 km Seitenlänge. Das ist ziemlich genau die Luftlinienentfernung zwischen Bonn und Düsseldorf. „Eine Fläche wie die von Luxemburg. Verseuchtes Land, menschenleer. Eine wuchernde Wildnis von Wölfen beherrscht… die Zone, ist wie ein Fenster in eine ferne Vergangenheit vor dem Menschen, oder in eine Zukunft, nach dem Untergang der Zivilisation. Die Menschen flohen, aber die Wildtiere blieben. Manche überlebten, neue kamen von außen“(2)

Was geschieht dort in der Landschaft, mit Flora, Fauna und Pilzen frei vom Menschen?
Kanalisierte Flüsse und Bäche verlassen ihre Zwangsjacken und werden wieder zu ursprünglichen mäandrierenden Gewässern, brutal trocken gelegte Sümpfe erobern sich ihre alten Plätze zurück. Neue Moore können entstehen. Der Biber trägt dazu bei, dass die Veränderung schnell geht, weil er vom Menschen nicht an seinem Werk gehindert wird. Eisstaus in Frühjahr tragen dort ihren Teil zur Veränderung bei. Wälder kehren nach und nach zurück in ihren alten Zustand. Der Fuchs, der Hamster, der Elch und der Bison, Rehe und Hirsche und eben der Wolf. Sie alle leben in der „Zone“, nur der Mensch nicht.
Und überall findet man das, was einmal Menschen gehört hat, ihnen wichtig war. Ihre Häuser mit gähnend leeren Fenster- und Türöffnungen, ihre zertrümmerten Möbel, zurückgelassene Maschinen, sogar ein Riesenrad und natürlich die Ursache, das Kehrkraftwerk Tschernobyl. Alles zusammen ein Eldorado für zukünftige Archäologen – irdische oder außerirdische.

Sicher ist, dass Arten wie die oben genannten im Nach- Anthropozän nicht auftreten werden. Aber wir können aufgrund der Erkenntnisse über andere geologischen Zeitaltern mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Erde wieder ein Artenparadies werden wird. Nur dem Menschen nützt diese Erkenntnis nichts.
Deshalb wäre es schon nicht schlecht, wir nutzten die Möglichkeiten, die es gibt dem Anthropozän eine möglichst lange Lebensdauer zu verschaffen / uns zu schenken. Das wird  nur gehen, wenn wir, die den Globus nicht weit über das für ihn erträgliche Maß hinaus ausbeuten, verzichten lernen und einen Teil unseres Reichtums mit denen teilen, deren Lebensgrundlage wir täglich im Stil von Kolonialisten vernichten.

Solches ist von der Ampel, insbesondere mit Neidgelb nicht zu erwarten.
Also auf zu neuen Ufern zum Zeitalter jenseits des Anthropozän.

(1)Neuer Bericht des CLUB OF ROME – EARTH FOR ALL, oekom
(2)https://www.3sat.de/dokumentation/tiere/radioaktive-woelfe-108.html