Dienstag, 20. September 2022

Putins Reden I

Putins Reden I


Russische Truppen haben die Ukraine überfallen. Russische Truppen töten ukrainische Soldaten und Zivilisten. Russische Truppen bombardieren Wohnsiedlungen und Krankenhäuser. Russische Truppen foltern und erschießen willkürlich Menschen in ihren Dörfern und Städten. Russische Truppen vergewaltige ukrainische Frauen. Russische Truppen vertreiben ukrainischen Menschen aus ihrer Heimat selbst dann, wenn ihre Heimat noch nicht unter russischer Fuchtel steht. Russische Truppen haben wohl inzwischen 1,5 Millionen ukrainische Staatsangehörige nach Russland verschleppt. Russische Truppen haben das größte Atomkraftwerk der Welt besetzt und riskieren einen Unfall unvorstellbaren Ausmaßes.

Die Mordspur Russlands zieht aber nicht nur durch die Ukraine, sondern durch den Kaukasus, den arabischen Raum, durch Afrika entweder mit eigenen Truppen oder Söldnern in Putins Auftrag.

Gleichzeitig bringt dieser Krieg unendliches Leid über die Menschen in Russland mit tausenden von gefallenen oder verwundeten Soldaten, für immer gezeichnet.

Weil das so ist, scheint es wichtig sich mit Äußerungen Putins in der Vergangenheit zu befassen. In dieser Kolumne geht es um Zitate aus der

Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.09.2001(1)

Dank an den Bundestag:
„Diese Ehre, die mir heute zuteil geworden ist, bestätigt das Interesse Russlands und Deutschlands am gegenseitigen Dialog. Ich bin gerührt, dass ich über die deutsch-russischen Beziehungen sprechen kann, über die Entwicklung meines Landes sowie des vereinigten Europa und über die Probleme der internationalen Sicherheit - gerade hier in Berlin, in einer Stadt mit einem so komplizierten Schicksal.“

Zur Geschichte Berlins:
„Selbst in der schlimmsten Zeit - noch nicht einmal in den schweren Jahren der Hitler-Tyrannei - ist es aber nicht gelungen, in dieser Stadt den Geist der Freiheit und des Humanismus, für den Lessing und Wilhelm von Humboldt den Grundstein gelegt haben, auszulöschen.“

Kultur verbindet:
„Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Völker verbunden.“

Globale westliche und russische Entwicklungen:
„Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der Informationsgesellschaft konnte die totalitäre stalinistische Ideologie den Ideen der Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff die überwiegende Mehrheit der russischen Bürger. Gerade die politische Entscheidung des russischen Volkes ermöglichte es der ehemaligen Führung der UdSSR, diejenigen Beschlüsse zu fassen, die letzten Endes zum Abriss der Berliner Mauer geführt haben. Gerade diese Entscheidung erweiterte mehrfach die Grenzen des europäischen Humanismus, sodass wir behaupten können, dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurückführen kann.
Was die europäische Integration betrifft, so unterstützen wir nicht einfach nur diese Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung. Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat…
Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird…
Die ersten Schritte in diese Richtung haben wir schon gemeinsam gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.“

Reduktion der Waffen in Europa und vergangene Konfrontation:
„Eine der Errungenschaften des vergangenen Jahrzehnts war die beispiellos niedrige Konzentration von Streitkräften und Waffen in Mitteleuropa und in der baltischen Region. Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land. Für unser Land, das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt, haben wir den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot von biologischen Waffen sowie das START-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgten nicht alle NATO-Länder unserem Beispiel...
Das war so furchterregend und wir haben uns so daran gewöhnt, in diesem Count-Down-System zu leben, dass wir die heutigen Veränderungen in der Welt immer noch nicht verstehen können, als ob wir nicht bemerken würden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.“

Globaler Terrorismus:
„Sehr wichtig ist es, zu begreifen, dass Untaten politischen Zielen nicht dienen können, wie gut diese Ziele auch sein mögen…
Ich bin der Meinung, dass die Bereitschaft unserer Partner, gemeinsam Kräfte zu bündeln, um diese realen Gefahren, die nicht erdacht sind, zu bekämpfen, zeigt, wie ernst und zuverlässig unsere Partner sind. Diese Gefahren können von fernen Grenzen unseres Kontinents in die Mitte des Herzens von Europa stechen. Ich habe schon mehrmals darüber gesprochen. Aber nach den Ereignissen in den USA (9/11) brauche ich es nicht mehr zu beweisen.

Rusland nicht beteiligt:
„Was fehlt heute, um zu einer effektiven Zusammenarbeit zu gelangen? Trotz allem Positiven, das in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, haben wir es bisher nicht geschafft, einen effektiven Mechanismus der Zusammenarbeit auszuarbeiten. Die bisher ausgebauten Koordinationsorgane geben Russland keine realen Möglichkeiten, bei der Vorbereitung der Beschlussfassung mitzuwirken. Heutzutage werden Entscheidungen manchmal überhaupt ohne uns getroffen. Wir werden dann nachdrücklich gebeten, sie zu bestätigen. Dann spricht man wieder von der Loyalität gegenüber der NATO. Es wird sogar gesagt, ohne Russland sei es unmöglich, diese Entscheidungen zu verwirklichen.“

Trennendes in Europa:
„Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten, und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben. Heute müssen wir mit Bestimmtheit und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei.“

Blick voraus:
„Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.“

Hoffungen für Europa und Russland:
„Gleichzeitig bin ich davon überzeugt: Nur eine umfangreiche und gleichberechtigte gesamteuropäische Zusammenarbeit kann einen qualitativen Fortschritt bei der Lösung solcher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und vieler anderer bewirken. Wir sind auf eine enge Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit eingestellt. Wir haben die Absicht, in unmittelbarer Zukunft zum Mitglied der Welthandelsorganisation zu werden. Wir rechnen damit, dass uns die internationalen und die europäischen Organisationen dabei unterstützen…
Ich möchte besonders betonen, dass zum ersten Mal in der Geschichte Russlands die Ausbildungsausgaben die Verteidigungsausgaben übertreffen.“

Russisch und Deutschland:
„Heutzutage ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, unser bedeutsamster Gläubiger, einer der Hauptinvestoren und maßgeblicher außenpolitischer Gesprächspartner...
Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.“

Soweit die Auszüge. Vor dem Hintergrund dieser Rede stellt sich die Frage:
Hat Putin damit Deutschland, Europa und die Welt täuschen wollen oder hat man im Westen nicht erkannt, welches Potential in dieser Rede steckte.
Man lese noch einmal nach, was Putin zu einem Europa gesagt hat in dem Russland ein gleichberechtigter Partner ist. Oder über die niedrige Konzentration an Waffen in Mitteleuropa. Aber auch, was er zur Beteiligung Russlands an der Vorbereitung von Beschlussfassungen beklagt. Besonders der Satz: „Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden.“
Hätte man ihn beim Wort nehmen sollen / können? Hätte der Westen helfen können bei der Erreichung eines solchen Ziels? Hätte man sich auch von westlicher Seite an der Erfüllung begeben.

Man lese aber auch in (2), besonders die Aufzählungen für 1991 bis 1999.

Zum Schluss sei betont: Wenn der „Westen“ im Umgang mit Russland Fehler gemacht hat, rechtfertigt das den Krieg in der Ukraine nicht.

(1)https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966

(2)https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Milit%C3%A4roperationen_Russlands_und_der_Sowjetunion