Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Rheinbach
„Erinnern für die Zukunft“. Seit 20 Jahren, seit Februar 2002, erinnert eine Installation aus Glastafeln im Innenhof des Rheinbacher Rathauses an jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in der Zeit des NS-Regimes verfolgt und in den Tod getrieben wurden. In den Ortschaften der Stadt liegen 36 Stolpersteine, die das einzelne Schicksal und Verbrechen bezeichnen. Insgesamt wurden in der Zeit der deutschen Diktatur rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet. „600 Jahre jüdisches Leben in Rheinbach waren erloschen“, enden Sätze des Gedenkens inmitten der Installation: “Ihr Tod mahnt uns alle, das Rechte zu tun, dem Unrecht zu wehren und die Würde des Menschen zu achten.“
Am heutigen Donnerstag, 27. Januar 2022, gedenkt die Stadt Rheinbach dieser Entmenschlichung im Rahmen des deutschlandweiten „Tag[s] des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Aufgrund der Pandemie legten der Bürgermeister der Stadt Rheinbach, Ludger Banken, und der Landtagsabgeordnete Oliver Krauß stellvertretend Blumenschmuck im Innenhof des Rathauses nieder.
Mit der Vize-Landrätin des Rhein-Sieg-Kreises, Ute Krupp, und mit Peter Mohr, der die Verbrechen in Rheinbach aufgearbeitet und für das Bewusstmachen ganz besonders einsteht, verharrten sie in Demut und Respekt vor den Verfolgten und Ermordeten.
Der 27. Januar ist das Tagesdatum, an dem im Jahr 1945 das Konzentrationslager Auschwitz von Soldaten der Roten Armee befreit wurde. Alleine in Auschwitz sind mehr als 1,1 Millionen jüdische Mitmenschen umgebracht worden. „Das Ausmaß an Unmenschlichkeit und Perfidität dieses geplanten Holocaust ist bis heute unfassbar“, erinnert Bürgermeister Ludger Banken an die sogenannte Wannseekonferenz vor 80 Jahren, bei der der Völkermord an den europäischen Juden bis ins Detail geplant wurde.
Während seiner Amtszeit hat der vormalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum wiederkehrenden „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ bestimmt. Er ist allen gewidmet, die Opfer der Entmenschlichung wurden: den Sinti und Roma, den Menschen mit Behinderung, den Kriegsgefangenen und Zivilisten, denen, die Widerstandskraft mit dem Tod bezahlt haben – allen, denen die Hetze und die industriell betriebene Tötung das Leben geraubt hat.
„Das NS-Regime hat – bis tief in den Krieg hinein – einen hohen Grad von Popularität genossen“.
Der namhafte britische Historiker Sir Ian Kershaw hat auf einen „Grundkonsens“ hingewiesen, „der ein Klima schuf, in dem der Widerstand gegen Hitler von Anfang an isoliert und ohne wesentliche Unterstützung durch die Bevölkerung ehrenvoll, aber politisch so gut wie völlig wirkungslos arbeiten musste“.
In Rheinbach steht das heutige Rathaus an dem Straßenzug, an dem im Jahr 1938 die Jüdische Synagoge in Brand gesteckt wurde und an dem die Außenstelle des „Gesundheitsamtes Bonn-Land“ eröffnet wurde. Mindestens 147 Mitmenschen sind an Rhein und Sieg Opfer der sogenannten „Euthanasie“, des willkürlichen Mordes aufgrund selbstgemachter Kriterien, geworden, zitiert Oliver Krauß jüngere Forschungsergebnisse:
„Begriffe der Menschlichkeit – Gesundheit, Medizin – sind entstellt und dem Rassenwahn ausgeliefert worden.“
Der Nationalsozialismus sei in sämtliche Lebensbereiche eingedrungen und habe Zivilisation zerbrechen lassen: „Familienmitglieder haben sich gegeneinander gerichtet, Widerstandskraft ist zerschellt an Zynismus und Menschenverachtung, die bis zum Äußersten gingen.“
Was in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschehen ist, könne nie zu geschichtlichen Akten gelegt werden, betont der Abgeordnete aus Alfter. Anlässlich des Gedenkens in Swisttal und Rheinbach griff er Worte des Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas auf: „Hier ist an eine tiefe Schicht der Solidarität zwischen allem, was Menschenantlitz trägt, gerührt worden; die Integrität dieser Tiefenschicht hatte man bis dahin [...] unbesehen unterstellt.“
Die Sorge um diese „Tiefenschicht der Solidarität“ kann und darf nie wieder enden, betont Oliver Krauß. Ute Krupp zitiert in diesem Verständnis Worte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die heute 100 Jahre alt ist und ihre Familie in den Vernichtungslagern verloren hat: „Es ist für Euch, was war, ist nicht mehr zu ändern. Was war, darf aber niemals wieder geschehen.“ Die „beeindruckende Margot Friedländer bringt sich als Zeitzeugin sehr intensiv insbesondere in Gesprächen mit jungen Menschen“ ein, betont Ute Krupp: „Ihre Sätze müssen uns Ansporn und Ermutigung sein.“
Gerade die jungen Menschen in das Erinnern einzubinden, ist Anliegen des Gedenktags in einer Zeit, in der Täter immer weniger zu belangen und Zeitzeugen immer weniger zu hören sind, unterstreichen Ludger Banken und Oliver Krauß. Die emotionale Berührung und die geistige Auseinandersetzung, die von der Erinnerung ausgeht, „müssen dem verantwortlichen zukünftigen Leben unausgesetzt dienen“. Beide verweisen auf das alarmierende Signal der antisemitischen Straftaten, die in der Bundesrepublik zuletzt um 15,7 Prozent gestiegen sind, und auf die Gefahr von Irrationalismus und Auseinanderdriften in Zeiten der Pandemie: „Die Trauer, die in der Geschichte unserer Ortschaften aufgehoben ist, berührt uns alle. Wir können uns die gemeinsame Erinnerungsarbeit nach der Pandemie nur herbeiwünschen: mit den Schülerinnen und Schülern, die Erinnerungsarbeit so wertvoll leisten und Courage zeigen, mit den Kirchen, Verbänden und Vereinen, die das wache Bewusstsein tragen, mit den Vertreterinnen und Vertretern aller unserer demokratischen Parteien.“