Donnerstag, 11. November 2021

30 Menschen nahmen am Schweigegang in Rheinbach teil

30 Menschen nahmen am Schweigegang in Rheinbach teil

Peter Schürkes gab einen Überblick zur Geschichte der Juden in Rheinbach

30 Menschen nahmen am Schweigegang in Rheinbach teil

Schweigegang in Rheinbach für Toleranz und Menschenrechte am 9. November

Jochen Bois, Willi Oberheiden und Peter Schürkes organisierten den jährliche Schweigegang in Rheinbach, an dem 30 Menschen teilnahmen. Besucht wurden die Stolpersteine und Peter Schürkens hielt Ansprachen und beantwortete Fragen.

Besuchte Stolpersteine am Weg des Schweigeganges

Polligsstraße 10: Johanna Wolf, Max Wolf, Otto Wolf, Fritz Wolf und Walter Eis
Hauptstraße 44: Regina Geisel, Selma Geisel, Hermann Josef Geisel und Max Geisel
Hauptstraße 52: Clementine Klaber und Hermann Klaber
Vor dem Dreeser Tor 3: Gegenüber der Stolperstein für Elisabeth "Elise" David
Vor dem Dreeser Tor 21: Gegenüber der Stolperstein für Helena Meyer
Kriegerstraße 7: Fanny Sommer und Frida Sommer; Karoline Salm und Moritz Salm; Ilse Schwarz und Hugo Schwarz
Langgasse 11: Ida Marx, Ruth Marx, Edith Marx, Otto Marx und Günther Marx; Else Oster, Julie Oster und Josef Oster
Lindenplatz 3: Bertha Arensberg

Die Rheinbacher Juden für die Stolpersteine verlegt sind wurden zumeist 1942 über Bonn und Köln in die Vernichtungslager wie Auschwitz, Chełmno (Kulmhof),  Maly Trostinec und Treblinka gebracht und dort ermordet.

Ansprachen zum Schweigegang in Rheinbach 2021

Auf dem Kirchplatz - Zur Geschichte des Schweigeganges

Ich bin unsicher, seit wann es den jährlichen Schweigegang in Rheinbach gibt. Es wäre schön, wenn mich diejenigen informierten, die eine besserer Erinnerung an die Anfänge haben.
Ich versuche mich dann mal mit einer Geschichte, die nicht immer glatt lief und selten allgemeinen Beifall fand.

Aus meiner Erinnerung war es zunächst eine Demonstration gegen den von Saddam Hussein und Bush Senior geführten Zweiten Golfkrieg 1991. Der 9. November wurde dafür als passender Tag gewählt. Auch wenn der Schweigegang sich mehr und mehr als Erinnerung an die Judenverfolgung entwickelt hat, geht es den Initiatoren und besonders den Organisatoren immer auch darum aufzuzeigen wo wir Lehren für die aktuelle Gesellschaft und Politik daraus ziehen sollen.

Willi Oberheiden, der mit mir über die letzten mindesten 25 Jahre den Schweigegang organisatorisch begleitet hat kann in diesem Jahre leider nicht anwesend sein. Seit vier Jahren haben wir einen dritten der sich an der Organisation beteiligt: Jochen Bois. Gerade in diesem Jahr wäre es ohne ihn ganz schwierig geworden. Insbesondere hat er sich um das Verteilen der Plakate in den Ortschaften und der Innenstadt bemüht und festgestellt, dass diese aus machen Fenstern in der Hauptstraße schon bald wieder verschwanden.

Weil Willi fehlt, fehlt auch die tragbare Lautsprecheranlage. Ob das Megaphone ein brauchbarer Ersatz ist wird sich zeigen. Wenn nicht muss meine Stimme reichen solange sie hält.

Jochen und ich bitten alle Teilnehmenden eine coronataugliche Maske während des Schweigeganges und des anschließenden Ganges zu den Stelen der Erinnerung an die ermordeten jugendlichen ukrainische Zwangsarbeiter im Stadtpark zu tragen.

Am jüdischen Friedhof

Vor diesem Friedhof gab es einen jüdischen Friedhof südlich der Wälle. Der heutige südliche Bereich der Weiherstraße hieß damals Judengasse. Hätte sich das nicht geändert, wohnte ich (Peter Schürkes) heute in Judengasse 15  und nicht in Weiherstr. 41.

Der Friedhof hier wurde wohl vor 1825 erstmals belegt. Die tatsächliche Belegung in seiner Geschichte lässt sich heute nicht mehr ermitteln. 1938 wurde er verwüstet und das wohl stärker als alle anderen jüdischen Friedhöfe im Rhein-Sieg-Kreis .

Sicher ist, dass eine Teilfläche noch nicht belegt war, als Hermann Josef Geisel sie 1941/42 zum Verkauf anbot, da wie er sagte die Juden Geld bräuchten. Zu einem  Abschluss kam es nicht.

Die Grabsteine von diesem Friedhof wurden wie die von vielen anderer jüdischer Friedhöfe entweder an Steinmetze zur Verwendung verkauft oder etwa zertrümmert im Straßenbau verwandt.
Nach dem Krieg wurden einzelne Grabsteine wieder zurück gegeben. Allerdings nicht immer dorthin wo die mal gestanden hatten.

So stehen auch auf dem Rheinbacher Friedhof Steine, die ursprünglich von anderen Friedhöfen stammen.

Näheres zum Friedhof finden Sie in „Ihre Namen werden bleiben“ ein Band, der auch vom Rheinbacher Archivar herausgegeben ist.

Wir wollen zur Ehrung der hier Bestatteten Rheinbacher Juden kurz schweigend verharren.

Ecke Schweigelstraße / Langgasse

Diese Ecke war längere Zeit ein religiöses Zentrum der Juden für Rheinbach und die Umgebung.
Die auf den Plakaten abgebildete zerstörte Synagoge stand von hier aus ein paar Meter zurück in Richtung Rathaus.
Sie ist wohl 1872 eingeweiht, morgen vor 83 Jahre in Brand gesetzt und an den folgenden Tagen geplündert worden.
Das Haus vor dem wir stehen war die Religionsschule der rheinbacher Juden und der Juden der umgebenden Ortschaften.
Sie grenzte an die Synagoge. Vom Schulgebäude konnte man die Frauenempore der Synagoge erreichen.

Um den Gedenkstein, um die  Umbenennung eines Teiles der Schweigelstraße in „An der Synagoge“ und insbesondere um die Verlegung der Stolpersteine gab es jeweils jahrelangen kleinkarierten lokalpolitischen Streit.
Der Streit um die Stolpersteine erhielt deutschlandweite Bekanntheit - worauf man nicht stolz sein muss.

Abschluss des Schweigegang auf dem Lindenplatz - Babyn Jar

Sie spielten laute Musik um die Schussgeräusche zu dämpfen, das Stöhnen nicht zu hören, die Todesschreie zu übertönen. Sie zwangen die Juden Kinder, Erwachsene, Junge, Alte, Frauen und Männer sich auf die schon Ermordeten zu legen um selbst erschossen zu werden. Schicht auf Schicht.

Das Töten war anstrengend, sie schossen  deshalb in Schichten. In den Pausen erholten sie sich bei gutem Essen, bei Alkohol und Frauen.

33.771 Kiewer Juden wurden mit deutscher Exaktheit als getötet gemeldet.

Als der Bundespräsident Babyn Jar besuchte war ich bei einer Geburtstagsfeier und fragte eher mich als andere, wie man damit leben konnte 150-250 Juden an einem Tag erschossen zu haben.

Die Reaktion kam prompt mit dem mehrfach durch  Nicken bestätigten Satz: „Die mussten das, hätten sie sich geweigert wären sie gleich an die Wand gestellt worden!“ Mein vehementer Widerspruch fand kein Gehör.

Der Regisseur der Dokumentation „ Das radikal Böse “ Stefan Ruzowitzky sagte in einem Interview mit der Welt:
Verweigerer hätten berichtete man bekam eine Rüge, wurde vielleicht bei einer Beförderung übergangen oder bekam Freizeit gestrichen. „Das war der Preis, den man dafür zahlen musste, nicht täglich Frauen und Kinder zu erschießen.“

Wie aber kommt es zu der Reaktion auf der Geburtstagsfeier? Und nicht nur dort. Man frage  beliebige Passanten. Entweder wissen sie nichts, wollen sich nicht damit befassen oder geben eine Antwort wie die auf der Geburtstagsfeier.

Die Täter haben solche Geschichten erzählt. Die allermeisten Mörder sind unbestraft in die Nachkriegsgesellschaft eingetaucht. Die Täter die vor Gericht gestellt wurden blieben meist unbestraft weil auch die Richter Teil der Mordgesellschaft waren. Man glaubte die Geschichten der Mörder gerne und erzählte sie weiter weil eigentlich jeder Deutsche – und Österreicher – sich zwangsläufig schuldig fühlte da selbst beteiligt oder schweigender Zuschauer.

Wie lange Geschichten nachwirken macht ein Leserbrief anfangs der 2000-er deutlich: Willi Oberheiden und ich sollten nicht nur für die ermordeten Juden auf die Straße gehen, sondern auch für die Soldaten, die in den Krieg gezogen waren Mutter und Kind zu verteidigen. Ich habe in meinem Leserbrief die Schreiberin gefragt, ob ihr Vater seine Frau und seine Tochter vor Moskau verteidigt habe?

Weshalb haben die Deutschen massenhaft gemordet?  Einfache Antwort: Sie beseitigten „Untermenschen“.

Stefan Ruzowitzky dazu: „Für mich ist es gut nachvollziehbar, wie die ersten Schritte dahin passiert sind. Man ist in einer Gruppe, in der man nicht nach moralisch-ethischen Grundsätzen handelt,  nicht blöd auffallen und kein Kameradenschwein sein will. Kleinliche Gründe, die wichtiger sind als eine mutige moralische Entscheidung.“(1)

Dave Grossman ein amerikanischer Autor psychologischer Artikel erklärt: „Du kommst in einen Teufelskreis, denn sobald du einmal etwas Schreckliches gemacht hast, musst du dir einreden: Die haben’s verdient, die sind wirklich Untermenschen und eine Gefahr für mich, für meine Familie, für mein Land. Gerade deswegen muss ich jetzt mit dem Töten weitermachen ….. Man unterzieht sich  selbst einer Gehirnwäsche, um sich nicht damit zu konfrontieren, dass man an einem Massenmord beteiligt war.“(1)

Am Ende des Weltinterview wird Ruzowitzky gefragt: „Wären Ereignisse wie die Massenmorde von einst in unseren Breiten auch heute denkbar?“
Seine Antwort: „Die menschliche Natur ändert sich natürlich nicht. Es geht aber darum, welche politischen Instrumente und Institutionen verhindern können, dass wir überhaupt erst in diese Situation kommen.“(1)

Das sollte uns veranlassen darauf zu achten, dass nicht neonazistisch Denkende und Handelnde noch mehr Wählerstimmen bekommen als bei der letzten Bundestagswahl. Die Landtagswahl im Frühjahr bietet die nächste Gelegenheit Faschisten aus dem Parlament zu verbannen.

Seien wir wachsam bei Faschisten wie Gauland für den die Zeit der Mörder ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte war. Oder Höcke der das Berliner Holocaust-Mahnmal ein Denkmal der Schande nannte. Das kann man zu recht so sehen, aber nicht mit Höckes Blickrichtung.

Bedenken wir, „dass man da nachmittags in der Badehose hingegangen ist und sich zum Vergnügen diese Erschießungen angesehen hat. Das hat dazu beigetragen, dass viele Soldaten diese Tötungen als legitim empfanden: Wenn etwas bei helllichtem Tage, mitten im Sommer vor hunderten Zuschauern stattfindet, dann kann das ja nicht so falsch sein.“(1)

Solches ist nicht aus der Welt verschwunden. Auch bei uns gibt es genug, die sich als Gaffer an schweren Unfällen oder an Flutkatastrophen aufgeilen.

Es mag nicht jedem gefallen, wenn ich daran erinnere, dass wir tausende Menschen auf dem Weg in eine bessere Zukunft im Mittelmeer ertrinken lassen und nur darüber nachdenken, wie wir die Festung Europa gegen die Flüchtlinge absichern. Wir beuten die Länder aus aus denen Sie fliehen statt mit ihnen unseren gewonnenen Reichtum zu teilen.

Dort sehen wir unbeteiligt zu. Vom Leiden der Juden auf ihrer Irrfahrt mit der St.Louis 1939 sind wir dagegen zu recht erschüttert.

Noch eines: Die Deutschen mussten nicht Teile ihrer Heimat für einen Judenstaat verlassen. Dafür wurden die Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben obwohl nicht sie, sondern die Deutschen gemordet haben.

Jochen Bois, Willi Oberheiden und Peter Schürkes organisieren den jährliche Schweigegang in Rheinbach


(1) https://www.welt.de/kultur/kino/article124056600/Niemand-musste-bei-Erschiessungen-mitmachen.html

Weitere Links zum Thema – eine Auswahl
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/340854/massaker-von-babyn-jar

https://www.rnz.de/politik/hintergrund_artikel,-die-hoelle-von-babyn-jar-hier-ermordeten-die-deutschen-1941-fast-34000-menschen-_arid,750808.html

https://www.spiegel.de/geschichte/massaker-von-babyn-jar-warum-auch-ein-99-jaehriger-vor-gericht-gehoert-a-957c560f-c41d-49f0-a503-5f44e724e349?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article234006778/Massaker-von-Babyn-Jar-Die-Leichen-wurden-regelrecht-geschichtet.html

https://www.bote.ch/nachrichten/international/babyn-jar-taeter-namen-veroeffentlicht;art46446,1348673

https://www.audiatur-online.ch/2021/10/06/gedenkstaette-babyn-jar-veroeffentlicht-taeterberichte-von-159-nazis-die-juden-erschossen/