Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland
„Ich bin 60, deshalb erlebe ich die nächste Flutkatastrophe nicht mehr. Sie kommt erst in hundert Jahren wieder. Sollen sich die Enkel um die Vorbeuge bemühen.“ Hört man schon mal selbst von Betroffenen.
"Das Ausmaß dieser Katastrophe konnte so niemand voraussehen" sagte Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz.
Beides falsch!
Ein „hundertjähriges Ereignis“ bedeutet nicht, dass die Ahr die nächste Flutkatastrophe „unvorhersehbaren Ausmaßes“ zwischen dem 13. und 15. Juli 2121 erlebt.
Ein „hundertjähriges Ereignis“ bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es in irgendeinem betrachteten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/100 auftreten kann. „Kann“, „muss aber nicht“. Kann also nächstes Jahr wieder auftreten oder auch nie mehr.
Angenommen Sie würfeln mit drei Würfeln gleichzeitig, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einem Wurf 3 Sechsen oben liegen 1/6 x 1/6 x 1/6 = 1/216 also grob 1/200. Wer hat beim "Mensch ärgere-dich-nicht-Spiel“ noch nie erlebt, dass dieses Ereignis eingetreten ist.
Die Wahrscheinlichkeit ändert sich natürlich für gezinkte Würfel.
Der Klimawandel ist das Zinken der Flutwahrscheinlichkeit. Klimatologen und Meteorologen sagen, der Klimawandel könne die Katastrophe 2021 bis zu 9mal wahrscheinlicher gemacht haben als ohne. Damit wird – wieder grob – aus dem 100-jährigen ein 10jähriges, natürlich mit der gleichen Unsicherheit wie oben. Unmöglich?
„Bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli starben nach derzeitigem Stand alleine in Deutschland mehr als 180 Menschen. Die Flut verursachte zudem Sachschäden in Milliardenhöhe. Expertinnen und Experten rechnen wegen des Klimawandels mit einer Häufung extremer Wetterereignisse. ...
Wir müssen anerkennen, dass ein Hochwasser wie nach „Bernd“ sich wiederholen kann und wird.“ (1).
Sollte man wissen: Grimma „Die Perle im Muldental“ in Sachsen hatte 2002 eine Jahrhundertflut und 2013 noch eine.
Zum „niemand konnte voraussehen“. Das ist in mindesten dreierlei Hinsicht falsch!
Erstens sind die Warnungen vor einer kommenden Katastrophe vom 12. Juli an mit immer genauerer Stärken- und Lokalitätsangaben erfolgt. Nur hat es niemand verstanden oder geglaubt.
Zweites hat es ähnliche und wohl auch noch stärkere in der Geschichte des Ahrtals gegeben.
„Beim Versuch der Einordnung des Hochwassers 2021 und im Vergleich mit früheren Ereignissen hörte man oft, dass die Flut „wie nie zuvor gesehen“ oder „unvorstellbar“ war. Obwohl es offensichtlich ein unvorstellbares Ereignis für die Betroffenen war, ist das vor allem so, weil wir frühere Hochwasserereignisse von ähnlicher Dimension vergessen haben.“(1)
Drittes gibt es seit dem 24.Mai 1990 die Bundesdrucksache 11/8030 den „ Bericht der Enquete-Kommission – Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre zum Thema Schutz der Erde.“
Daraus hier Zitate zum Thema:
„1.5 Veränderte Extremwertstatistik
Wetterextreme treffen Landwirtschaft, natürliche Ökosysteme, Siedlungen, Verkehr und Industrieanlagen am stärksten. Jede Veränderung der Extremwertstatistik, zum Beispiel der Häufigkeit von Stürmen, Dürre oder Hochwasser bestimmter Intensität, hat somit unmittelbare Folgen für das Leben auf der Erde.
3.5.1 Empfindlichkeit des Abflusses gegenüber Klimaänderungen
Während bisher die Grundvoraussetzung für die Auslegung von Staudämmen, Bewässerungssystemen, Schiffahrts Straßen und Hochwasserschutzanlagen die Stabilität der hydrometeorologischen Randbedingung war, denn nur solche Stabilität erlaubt überhaupt die
Definition des Jahrhunderthochwassers, so müßte jetzt auf jeden Fall in jede Planung veränderliches
Klima einbezogen werden.
3.5.6 Spezifische Folgen für Mitteleuropa
Da die erwarteten Klimaänderungen nicht ohne Einfluß auf den Wasserkreislauf und damit auf das Abflußverhalten unserer Flüsse bleiben, soll hier für die Region Mitteleuropa eine besondere Betrachtung eingeschoben werden. ….
Dagegen werden allein vom Regen gespeiste Hochwasser häufiger werden. Viele dieser
Hochwasser wurden in der Vergangenheit in der kritischen Phase durch Kaltlufteinbrüche gestoppt, wenn Niederschläge wieder als Schnee fallen. Insgesamt ist für die Mittelgebirgsflüsse in den Wintermonaten mit einer höheren allgemeinen Hochwassergefahr zu rechnen. In den Sommermonaten können durch häufigere konvektive Niederschläge (Starkregen) eben-
falls vermehrt lokale Hochwasser auftreten.
— Hochwasserschutz
Durch die Erhöhung der Hochwasserhäufigkeit und der Hochwasserscheitel werden Menschen und Güter in Siedlungen entlang der Flußläufe stärker gefährdet als heute. Zusätzliche Hochwasserschutzeinrichtungen (Erhöhung der Dämme, Bau weiterer Rückhaltebecken, Verbesserung der Speicherfähigkeit der Böden in landwirtschaftlichen und städtischen Bereichen) sind zu schaffen. Bei bestehenden Talsperren oder Rückhaltebecken reichen möglicherweise die
Hochwasserentlastungsanlagen nicht mehr aus, um einen verstärkten Hochwasserabfluß schadensfrei abzuführen.
— Gewässerschutz
Eine insgesamt geringere Wasserführung in den Sommermonaten und höhere Hochwasserspitzen verschlimmern die Belastung der Gewässer mit Schadstoffen. Um eine Verschlechterung der Wasserbeschaffenheit zu vermeiden, ist die Gewässerbelastung durch eine verbesserte Ab Wasseraufbereitung zu reduzieren. Die Fließgewässer sind durch naturnahen Ausbau gegen Erosion zu schützen.“(2)
Fazit
Die Parlamentarier haben 11/8030 (Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre) zwar zur Kenntnis genommen aber in der Regel nicht gewusst, was sie zur Kenntnis genommen haben, denn die allerwenigsten werden das wichtige, leider für gehetzte Parlamentarier zu umfangreiche Papier gelesen haben, wahrscheinlich hätten die meisten von ihnen, ebenso wie die heutigen, es auch gar nicht verstanden.
Hätten sie es gelesen, hätten sie es ernst genommen, hätten sie es den WählerInnen dringlich gemacht, hätte es vielleicht den Parteien keine Verluste gemacht, die ehrlich zu den WählerInnen waren(*). Und-die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit auf 1/10 hätte es nicht gegeben, die Flut wäre weniger katastrophal verlaufen und es hätte weniger Tote, Verletzte (körperlich und seelisch), ebenso weniger materielle Schäden gegeben – vielleicht überhaupt keine.
Aber wie hat Steinbrück Ex-Kanzlerkandidat der SPD doch gesagt: „Hätte, hätte, Fahrradkette!“
Das besondere Konzept der ewigen Kanzlerin bestand darin, alles so lange auf der Bank herumzuschieben, bis es von der Bank gefallen ist.
Es verhält sich wie beim Klimawandel allgemein, die allermeisten verstehen ihn nicht, weshalb sie kein Problem damit haben die zu wählen, die es auch nicht verstehen. Oder solche, die von sich behaupten, sie verstünden es, hätten aber deshalb keine Panik. Das zeigt unmittelbar, dass diese sich überschätzen – oder anderes: sie haben keine Ahnung.
Offenbar werden grundsätzlich die gewählt, die nicht in der Lage sind über den Rand von vier Jahren zu blicken. Fragt sich wie weit die blicken, die sie wählen?
Hoffnung auf bessere PoliterInnen und Wählerinnen? Keine Chance!
(*) Das das funktionieren kann zeigt die Einsichtigkeit der BürgerInnen beim Thema Corona – mal abgesehen von denen, die der besondere FDP-Schlaue Kubicki hinter sich versammelt. Oder aktuell die freiwilligen Beschränkungen beim Energieverbrauch – auch wenn es nicht alle tun und es noch zu wenig ist.
Da lässt sich noch was nachlesen:
(1) https://www.drk.de/fileadmin/user_upload/Forschung/aktuelle_Projekte/HW/IFRC_PERC_Ereignisanalyse_Bernd.pdf
(2) https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/337277/jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland/
(3) https://dserver.bundestag.de/btd/11/080/1108030.pdf
(4) https://dserver.bundestag.de/btd/11/083/1108378.pdf
(5) Podcast: „Warum musste Johanna sterben“